27.08.2019 | Das Thema Versorgungssicherheit sachlich angehen

Genug Strom - auch in Zukunft?

Die sichere Versorgung der Schweiz mit Strom wird derzeit kontrovers diskutiert. Der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) fordert eine Versachlichung des Themas. Studien zur Versorgungssicherheit und zur Energiestrategie des Bundes dürften nicht von Annahmen ausgehen, die in der Realität längst überholt sind.

Die Stromversorgung in der Schweiz ist fast C02-frei und sicher. Wird sie das auch in Zukunft und langfristig sein?

  • Ja, sagen Bundesrat und Bundesamt für Energie (BFE). Ihre Studie ("Modellierung der System Adequacy in der Schweiz") zeige, dass die Versorgungssicherheit der Schweiz bis 2035 als unkritisch einzustufen ist, solange die Schweiz mit ihren Stromnachbarn in Europa verbunden sei.
  • Achtung, sagt die Eidgenössische Elektrizitätskommission (Elcom). Ihr nicht für Alarmismus bekannte Präsident Carlo Schmid warnt, die Schweiz laufe auf eine zunehmende Unterversorgung von Strom im Winter zu. Die steigende Importabhängigkeit sei ein echtes Problem. Letztmals konnte die Schweiz in Winter 2002/03 ihren Strombedarf selber decken. Seither ist sie im Winter auf Importe angewiesen - Tendenz zunehmend. Und: 2017 war de Schweiz übers ganze Jahr gesehen erstmals Nettoimporteur.
  • Nein, es droht ein massives Defizit im Winter, urteilt die Eidgenössische Material- und Prüfungsanstalt (Empa) in einer neuen Studie: Setzt die Schweiz voll auf Wärmepumpen und Elektromobilität, droht im Winter - ohne weitere Massnahmen - ein gigantisches Stromdefizit (Details dazu hier).
  • Auch Axpo mahnt vor zu optimistischen Annahmen des Bundes: "Aus heutiger Sicht ist die Energiestrategie ES 2050 sowohl in Bezug auf die Produktionsannahmen, die Verbrauchsannahmen und die Annahmen betreffend möglicher Importe von Strom aus dem Ausland zu optimistisch." (siehe Artikel rechts)
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Nun macht sich das BFE daran, seine Prognosen zu überarbeiten. In einem ersten Schritt sollen die System-Adequacy-Studien überarbeitet und danach die ES 2050 überprüft werden. Damit werden neue Grundlagen geschaffen, um die Frage der Versorgungssicherheit beurteilen zu können.

Hier hakt der Branchenverband VSE ein. In Studien formuliere man Annahmen, definiere Extrem- und Referenzszenarien, erarbeite Modelle und leite darauf basierend Handlungsbedarf ab. Prognosen aus Studien könnten aber nur so treffend sein, wie die Annahmen, die ihnen zugrunde liegen. Es gelte deshalb in den neuen Studien des Bundes nicht mit veralteten Annahmen zu arbeiten. Es brauche "nicht optimistische, sondern realistische und teilweise auch pessimistische Annahmen. Denn die Versorgungssicherheit muss auch gewährleistet sein, wenn nicht alles nach Plan läuft", hält der VSE fest.

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Realistische Annahmen...

Was versteht der VSE unter realistischen Annahmen. Die wichtigsten sind:

  • Der Ausbau der erneuerbaren Energien kommt in der Schweiz nur schleichend voran.
  • In Europa wird massiv gesicherte Leistung abgebaut und die Dekarbonisierung beschleunigt sich, während die Elektrifizierung zunimmt, was einen höheren Strombedarf zur Folge hat (Details dazu hier)
  • Der Import von Strom im Winter hängt vom Exportvermögen und der Exportbereitschaft der angrenzenden Länder ab. "Doch unsere Nachbarn signalisieren zunehmend, dass sie selbst auf Import angewiesen sein werden und haben selbst Mühe, das Netz für die Zukunft aufzurüsten."
  • Das Stromabkommen zwischen der Schweiz und der EU fehlt weiterhin. "Die fehlende Integration der Schweiz in den europäischen Strombinnenmarkt führt zu Einschränkungen, die sich mit dem Inkrafttreten des Clean Energy Packages in der EU weiter verschärfen werden - und die Netzstabilität wird durch diese Situation zunehmend belastet."
...richtige Schlussfolgerungen

Es sei zentral, diese Annahmen bei den neuen Studien des Bundes zu berücksichtigen und zu erkennen, dass die Rahmenbedingungen für die heimische Stromproduktion ungenügend seien und es an langfristigen Investitionsanreizen fehle. 

Nur wenn man eine Auslegeordnung aller kritischen Elemente mache, "kann man in der politischen Diskussion eine fundierte Einschätzung der möglichen Versorgungsrisiken machen und abwägen zwischen nötigen Massnahmen und Risiken, die man bereit ist, in Kauf zu nehmen", sagt der VSE.

 

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