05.04.2024 | Versorgungssicherheit? Wir kümmern uns darum, heute mit Luka Cuderman

Reichenau: Produktion von grünem Wasserstoff startklar

Grüner Wasserstoff gilt als Energieträger der Zukunft. Axpo ist entsprechend positioniert, allen voran mit der Anlage in Reichenau. Sie soll künftig 350 Tonnen grünen Wasserstoff pro Jahr liefern. «Die Nachfrage nach Wasserstoff wird auch in der Schweiz wachsen und die Frage ist nicht, ob sich ein Markt entwickelt, sondern wann», so Luka Cuderman, Hydrogen Market Intelligence & Strategy Lead.

Wer auf der Autobahn A13 durch das Bündner Rheintal fährt, hat einen guten Blick auf das Axpo Wasserkraftwerk Reichenau in Domat/Ems. Unterhalb des Zusammenflusses von Vorder- und Hinterrhein gelegen, nutzt Axpo die Kraft der alpinen Wassermassen zur Produktion von Strom. Ebenfalls gut sichtbar: Ein umzäuntes Gelände mit auffallenden, weissen Containern und einem rund 8 Meter hohen, schlanken, zylinderförmigen Tank. Sie sind Teil der neuen Anlage zur Produktion von grünem Wasserstoff, also Wasserstoff, der mit Strom aus erneuerbarer Energie wie Wasserkraft erzeugt wird.

Die kompakte Anlage ist ein Gemeinschaftsprojekt von Axpo und dem lokalen Energieversorger Rhiienergie. Weil sie direkt ans Wasserkraftwerk angeschlossen ist, können Netzkosten eingespart werden. Über die A13 ist sie für Kunden zudem schnell und einfach zugänglich. Der Standort ist ideal gewählt. 

Die H2-Anlage von Axpo beim Wasserkraftwerk Reichenau in Domat/Ems.
2,5 Megawatt Leistung

Wir sind vor Ort. «Reichenau ist mit einer Leistung von 2,5 Megawatt derzeit die leistungsstärkste Anlage in der Schweiz für die Produktion von grünem Wasserstoff. Jährlich produziert sie davon bis zu 350 Tonnen», erklärt Luka Cuderman – unbeirrt vom kühlen und regnerischen Wetter an diesem Tag, Mitte März. Der studierte Elektrotechniker, ETH Zürich, verantwortet in der Funktion «Hydrogen Market Intelligence & Strategy Lead» die strategische Ausrichtung der Wasserstoffaktivitäten der Axpo im In- und Ausland. Er ist Co-Autor des Axpo White Paper zum Potenzial des grünen Wasserstoffs. Mehr als 10 Jahre Erfahrung bringt Luka an der Schnittstelle zwischen Energie, Nachhaltigkeit und Digitalisierung mit.

Herzstück: Elektrolyseur

«Vor rund einem Monat ist das Herzstück der Anlage, der Elektrolyseur, geliefert worden», führt Luka aus und zeigt auf den zentralen Container, der den Elektrolyseur beherbergt (Grafik). Dieser arbeitet mit einer sogenannten Proton-Exchange-Membrane (Box).  

Ein Elektrolyseur spaltet chemische Verbindungen mit Hilfe von Strom. Im Fall von Wasser sind die Spaltprodukte Wasserstoff und Sauerstoff. Damit der Elektrolyseur keinen Schaden nimmt, muss das Wasser allerdings hochrein sein. Die Anlage kann also nicht einfach direkt das Wasser des Rheins vor der Türe nutzen. Und es braucht Gleichstrom, damit sich die Ladungsträger konstant in eine Richtung bewegen. Diesen liefert der Gleichrichter im benachbarten Container, der den vom Kraftwerk gelieferten Wechselstrom in Gleichstrom wandelt.

Während der abgespaltene Sauerstoff in die Umgebung abgegeben wird, wird der wasserdampfgesättigte Wasserstoff noch im Elektrolyseur «getrocknet» und in einem weiteren Container unter Druck verdichtet. Anschliessend ist der Wasserstoff bereit für die Abfüllung. Über vier Abfüllstationen und Docking-Stationen für die Wasserstoff-Tankwagen verfügt die Anlage. Die Tankwagen bringen den Wasserstoff zu den Wasserstoff-Tankstellen oder zu einem Industriebetrieb in der Region. Dank der unterschiedlichen Druckstufen von 200 und 300 bar kann ein breites Spektrum an Abnehmern abgedeckt werden.

Erste Tanklaster haben das Andocken bereits erfolgreich getestet. Derzeit wird die gesamte Anlage auf Herz und Nieren geprüft. «Sobald wir die nötigen Checks durchgeführt haben und sie zeigen, dass alles reibungslos funktioniert, geht die Anlage in den kommerziellen Betrieb», erläutert Luka.

Know-how gewinnen steht im Vordergrund

Insgesamt haben Axpo und Rhiienergie einen, im oberen einstelligen Millionenbereich liegenden Betrag investiert. Die Gestehungskosten pro Kilogramm Wasserstoff liegen bei 8 bis 14 Franken pro Kilogramm Wasserstoff, wobei die Gestehungskosten massgebend von den Strompreisen abhängig sind. Je höher die Strompreise, desto höher sind die Gestehungskosten. Eine weitere wichtige Determinante sind die Fixkosten. Je mehr die Anlage im Betrieb ist, desto besser lassen sich die Fixkosten über eine grössere Produktionsmenge verteilen. Eine optimale Auslastung von Elektrolyseuren liegt gemäss den Berechnungen von Axpo bei etwa 85 Prozent.

Weil der Markt für Wasserstoff in den Kinderschuhen steckt, ist es derzeit kaum möglich, einzuschätzen, wie sich die Nachfrage nach Wasserstoff entwickeln wird. «Die Wirtschaftlichkeit steht bei diesem Pionierprojekt auch nicht im Vordergrund», betont Luka. «Wir wollen Erfahrungen sammeln und unsere Kompetenzen auf- und ausbauen. Wie zuverlässig ist die Technologie? Wie formiert sich der Markt? Mit den Lessons learned gehen wir dann an die nächsten Projekte ran».

Vorteil Wasserstoff: Kann gespeichert und transportiert werden

Das sind mehrere Projekte in der Schweiz und Europa. Hierzulande ist es neben Reichenau etwa das Projekt im Kanton Uri. Der dort produzierte Wasserstoff wird unter anderem für den Betrieb des ersten Wasserstoff-Passagierschiffs auf dem Vierwaldstättersee verwendet werden. In Brugg (AG) soll eine weitere grössere Anlage entstehen, die das Axpo Portfolio von Anlagen zur Produktion nachhaltigen Wasserstoffs abrundet.

«Das grosse Plus von Wasserstoff ist, dass grosse Energiemengen gespeichert und über weite Distanzen transportiert werden können. Das ist für den Umbau des Energiesystems – also weg von kohlenstoffbasierten Energieträgern hinzu einer dekarbonisierten Versorgung – zentral», betont Luka: «Dabei müssen wir die sichere Energieversorgung laufend gewährleisten, müssen das System also parallel umstellen. Das ist eine Herausforderung», räumt er ein. Doch die Vorteile überwiegen bei weitem. «Auf lange Sicht sind die Einsatzpotenziale von grünem Wasserstoff enorm», so Luka: «Das Potenzial erschliessen können wir jedoch nur, wenn wir jetzt anfangen. Wir müssen machen, nicht abwarten».  

Was für PEM-Elektrolyseure spricht

Der Proton-Exchange-Membrane-Elektrolyseur arbeitet mit destilliertem Wasser oder Trinkwasser und einer protonendurchlässigen Polymermembran als Elektrolyt. Die Technologie ist ausgereift und sicher. Der Wirkungsgrad beträgt heute 74%. Die Kosten für PEM-Elektrolyseure sind überschaubar und die Anlagen brauchen nur wenig Wartung. Sie sind kompakt und gut integrierbar in ein bestehendes System. Und vor allem: PEM-Elektrolyseure können problemlos im Teillastbereich betrieben, gar kurzzeitig überlastet werden und somit einen Beitrag zur Netzstabilisierung leisten. 

Visualisierung der H2-Anlage

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