05.09.2022 | Das Wichtigste zu Strom, Spekulation, Hedging und Rettungsschirmen

Sieben Fakten, die man über das Hedging von Strom wissen sollte

Warum sichern Schweizer Energieunternehmen den Strom an der Börse ab? Wie geht Hedging und was sind «Initial Margin» und «Variation Margin»? Und was hat das alles mit Spekulation zu tun? Antworten auf die häufigsten Fragen.

1. Was versteht man unter «Hedging» in der Energiebranche?

Hedging bedeutet absichern. Axpo und andere Stromunternehmen verkaufen den Strom aus ihren Schweizer Kraftwerken mehrere Jahre im Voraus. Sie tun das, weil sie ziemlich genau wissen, wieviel ihre Werke jedes Jahr produzieren und sie durch eine Fixierung des Preises ihre Preisrisiken in der Zukunft minimieren. Das ist ebenso vorteilhaft für ihre Kunden, etwa KMU oder Verteilnetzbetreiber mit vielen Endkunden. Diese sichern sich dadurch nämlich eine garantierte Energielieferung zu einem planbaren Preis. Beide Seiten können ihre Einnahmen bzw. Kosten für die nächsten zwei, drei Jahre damit also sehr gut abschätzen, was ihnen Planungssicherheit gibt. Solche Geschäfte werden meistens über die Börse getätigt. Zur Absicherung von Käufern und Verkäufern (also für den Fall, dass einer der beiden zum Zeitpunkt der Vertragseinlösung die Verpflichtungen nicht mehr erfüllen kann) ist die Hinterlegung von Sicherheitsleistungen («Initial Margin», «Variation Margin») in bar regulatorisch vorgeschrieben. Sie fliessen komplett wieder zurück, sobald das Geschäft wie geplant abgewickelt wurde. Genauere Informationen zum Mechanismus sind hier zu finden).

2. Warum sind die notwendigen Sicherheitsleistungen so stark gestiegen?

Ihre Höhe hängt massgeblich vom Preisniveau ab. Steigen die Preise, steigt somit auch die zu hinterlegende Liquidität. Wenn eine Partei ausfällt, muss sich die andere Partei zum Marktpreis Ersatz verschaffen oder neue Käufer suchen. Darum wird in etwa die Differenz zwischen dem vereinbarten und dem Marktpreis hinterlegt. Seit dem deutlichen Anstieg der Gas- und Strompreise – durch den Angriffskrieg Russlands nochmals enorm verstärkt – sind die notwendigen Sicherheitsleistungen in historischen Ausmass gestiegen. Die Situation ist beispiellos und stellt kurzfristig enorm hohe Anforderungen an die Liquidität der Unternehmen. Die aktuelle Situation war bis vor Kurzem für niemanden im Bereich des Denkbaren. Gemäss Presseberichten waren im Februar an der Strombörse EEX rund 70 Milliarden Euro an Sicherheiten parkiert.

3. Haben sich die Stromunternehmen im Ausland verspekuliert?

Nein. Axpo verkauft ihre ganze Schweizer Stromproduktion im Voraus, um sich gegen fallende Preise zu schützen, opfert dafür aber mögliche Profite in der Zukunft, wenn die Preise steigen würden. Das ist das exakte Gegenteil von Spekulation, deswegen nennt man es auch «Absicherung» oder eben «Hedging». Statt zu wetten, haben wir die Produktion aus den Schweizer Werken abgesichert und somit die Risiken für uns und unsere Kunden minimiert.

4. Sind die hinterlegten Sicherheitsleitungen für immer weg?

Nein, denn die hinterlegten Sicherheitsleistungen fliessen spätestens nach der Lieferung wieder komplett zurück, nicht unähnlich der Mietzinskaution als Absicherung gegen einen Zahlungsausfall des Mieters. Diese Mittel sind für die Unternehmen also nur vorübergehend nicht verfügbar.

5. Ist das Geschäftsmodell der Stromunternehmen zukunftsfähig?

Ja, denn aufgrund gestiegener Strompreise sind die Ausblicke für Stromunternehmen positiv. Die aktuelle Problematik betrifft die Liquidität, nicht aber die Profitabilität der Unternehmen.

6. Können sich Schweizer Unternehmen von Europa isolieren?

Wenn durch politische Entscheide wie einen Krieg oder ein Energieembargo die Preise plötzlich weiter massiv steigen, kann das sehr schnell (innerhalb von 48 Stunden) zu sehr hohen Geldabflüssen bei Stromunternehmen in ganz Europa führen. Das wiederum kann zu einer Kettenreaktion führen, wenn einzelne Firmen dadurch ausfallen, andere mitreissen und sich das fortsetzt. Und die Preise können massiv steigen: Am 4. April kletterte der Stundenpreis für Strom in Frankreich vorübergehend auf 3000 Euro/MWh (ein normales Niveau wäre eher bei 50 Euro). Diese extreme Preisspitze für eine einzelne Stunde führte dazu, dass die Preisobergrenze an allen europäischen Strombörsen auf 4000 Euro/MWh erhöht wurde. Am 17. August gab es dann eine Stunde in Litauen mit 4000 Euro/MWh, die jetzt eine weitere Erhöhung der europäischen Preisobergrenze auf 5000 Euro/MWh erwirkt hat. Solche irrationalen Marktbewegungen könnten selbst gesunde und profitable Unternehmen mit besten Zukunftsaussichten in die Bredouille bringen, wenn sie die erwähnten Sicherungsleistungen an der Börse hinterlegen müssen.  Die Schweiz ist in den internationalen Energiehandel umfassend eingebunden.

7. Wie ist der Rettungsschirm des Bundesrats zu beurteilen?

Die Absicht des Schweizerischen Bundesrates, einen Schutzmechanismus gegen die aktuellen, systemischen Risiken bereitzustellen, ist richtig. Es braucht eine schlanke Lösung, die mit dem kleinstmöglichen Eingriff und dem kleinstmöglichen bürokratischen Aufwand die aktuellen systemischen Risiken aufzufangen vermag. Die Vorlage ist aktuell in der parlamentarischen Beratung. 

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