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13.11.2020 | Axpo CEO Christoph Brand im Interview

"Denn Energie wird gebraucht"

Der Energiekonzern Axpo ist operativ kaum von der Coronakrise ausgebremst worden. "Das Grundgeschäft ist bisher nicht gross beeinflusst", sagt Christoph Brand, der seit 1. Mai Chef des Unternehmens ist, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AWP. Man habe keinen substantiellen Rückgang des Stromverbrauchs gespürt. Des Weiteren verteidigt er sich gegen Kritik, die Axpo engagiere sich zu stark im Ausland, und erklärt, dass ein Stromabkommen mit der EU für das Unternehmen nicht per se überlebenswichtig ist und wieso auch die vollständige Marktliberalisierung keinen grossen Einfluss auf das Geschäft hätte.

Die Situation mit dem Coronavirus hat sich wieder verschlimmert. Inwiefern ist die Axpo von der Pandemie betroffen?

Christoph Brand: Das Grundgeschäft ist bisher nicht gross beeinflusst. Wir haben keinen substantiellen Rückgang des Stromverbrauchs gesehen. Ob es mittelfristig zu Zahlungsausfällen kommt, können wir heute noch nicht sagen.

Wieso haben Sie die Teilstilllegung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens im Frühjahr kaum gespürt?

In Italien zum Beispiel haben wir das in der Industrie schon gespürt. Der Verbrauch ist dort aber nur für eine kurze Zeit im zweistelligen Prozentbereich gesunken. Gruppenweit waren die Auswirkungen von den Strommengen her nicht signifikant.

Nichtdestotrotz haben Sie im ersten Halbjahr die Turbulenzen der Krise im Ergebnis gespürt und einen Verlust erlitten.

Im Zuge des Crashs der Kapitalmärkte ist die Performance der Stilllegungund Entsorgungsfonds schlecht gewesen. Diese hat aber mit unserer operativen Leistung nichts zu tun.

Im zweiten Halbjahr müsste es also wieder ein positives Ergebnis geben?

Die Börsen haben sich jetzt wieder erholt, darum hat sich auch die Performance der Fonds erholt. Was das genau für einen Einfluss gehabt hat, werden wir am Ende des Jahres kommunizieren.

Die Coronakrise wird nicht schon morgen vorbei sein. Mit welcher weiteren Entwicklung rechnen Sie?

Das ist beliebig spekulativ. Wenn es gelingt, einen Lockdown zu verhindern, indem sich die Leute am Riemen reissen und so helfen, die Infizierungsketten zu durchbrechen - dann wird das auf unser Geschäft keinen grossen Einfluss haben. Denn Energie wird gebraucht. Wir planen aber auch nicht damit, dass ab nächstem Jahr wieder alles normal ist. Das wäre unverantwortlich.

Corona bestimmt derzeit alles. Rückt damit die eigentlich seit Jahren geplante vollständige Strommarktliberalisierung noch weiter in den Hintergrund?

In der Schweiz können nur grosse Konsumenten mit einem Stromverbrauch ab 100'000 Kilowattstunden im Jahr ihren Versorger frei wählen. Eine Liberalisierung wäre im Interesse aller, insbesondere der Kunden. Wir wollen, dass sie möglichst schnell kommt - wohlwissend, dass es keine grosse Opportunität für die Axpo sein wird, aber auch kein grosses Risiko.

Wieso?

Der Einfluss auf die Axpo ist überschaubar. Zum einen beschränkt sich unser Geschäft nicht nur auf die Schweiz. Zudem hat unser hiesiges Privatkundengeschäft - über unsere Tochter CKW in der Zentralschweiz – eine überschaubare Grösse. Davon abgesehen ist die Axpo bereits seit Jahren mit der gesamten Produktion vollständig am freien Markt. Dennoch konkurrieren wir mit Wettbewerbern, die gefangene Kunden haben, denen sie ihre Tarife praktisch diktieren können, während sie am freien Markt Strom einkaufen können.

Wenn es dann endlich die Marktöffnung für private Endkunden gibt - will die Axpo in das Geschäft einsteigen?

Ich weiss es noch nicht, weil das stark von der Ausgestaltung der Liberalisierung abhängt.

Ein Stromabkommen mit der EU lässt auch seit Jahren auf sich warten. Wie schlimm ist das für die Schweiz?

Das ist auf mehreren Ebenen ein Problem. Erst einmal ist die Schweiz eine wichtige Strom-Drehscheibe für ganz Mitteleuropa. Dass wir nicht 'part of the game' sind, ist also schlecht für die EU und schlecht für die Schweiz. Und mit Blick auf die Kapazitäten gibt es Szenarien, wo Importe für die Schweiz deutlich wichtiger werden könnten. Da wäre ein Stromabkommen auch sehr hilfreich. Aus Unternehmenssicht ist es für die Axpo nicht per se überlebenswichtig. Aber: die Axpo ist das eine, die Schweiz ist das andere.

Die Manager von Energiekonzernen lassen sich auch regelmässig über die Rahmenbedingungen in der Schweiz aus.

Ich muss da wieder unterscheiden zwischen der Axpo und der Schweiz. Als Axpo-CEO investiere ich dort, wo ich für das Unternehmen den meisten Wert generieren kann. Ein Projekt wie die Photovoltaikanlage im Disneyland in Paris, die wir seit Juli bauen, ist eine andere Liga, als wenn ich in der Schweiz mit Müh und Not knapp ein Windrad aufstellen kann. Oder wenn es in Spanien tolle Rahmenbedingungen für den Aufbau von erneuerbaren Energien gibt, dann mache ich das. Moralisch tue ich das Richtige, wenn ich dort Geld investiere, wo ich am meisten CO2 einsparen kann. Statt dass ich damit in der Schweiz eine viel, viel kleinere und teurere Anlage bauen muss, die sich nicht rentiert. Als Axpo-CEO kann ich mich also entspannen.

Aber mit Blick auf die Schweiz?

Als Schweizer Staatsbürger frage ich mich: Wenn in Frankreich so eine riesige Anlage im Disneyland gebaut werden kann, warum können wir das in der Schweiz nicht? Und das ist eben auch eine Frage der Rahmenbedingungen. Grosse Projekte werden 'zu Tode eingesprochen' - wenn ich das so formulieren darf. Zur Kombination aus 'es rechnet sich nicht' und 'alle sind dagegen' kommen eine schwierige Topographie für Windkraft und auch nicht die besten Platzverhältnisse für grossflächige Photovoltaikanlagen. Wir versuchen jedes Projekt in der Schweiz zu machen, das wir rechtfertigen können. Es ist aber eine schwierige Ausgangslage. Darüber macht sich die Politik aus meiner Sicht viel zu wenige Gedanken.

Inwiefern?

Wir gehen davon aus, dass der Stromverbrauch markant steigen wird. Das wird in der Politik unterschätzt. Es gibt Schätzungen, die analytisch gut untermauert sind und besagen, dass sich der Stromverbrauch in der EU bis ins Jahr 2050 verdoppeln wird. Grund dafür ist die Dekarbonisierung. Ich persönlich habe meine Ölheizung auch durch eine Wärmepumpe ersetzt, habe Photovoltaik auf dem Dach installiert und fahre ein Elektroauto. Mein gesamter Energieverbrauch ist zwar stark gesunken, aber mein Stromverbrauch ist massiv gestiegen. Das ist die Realität.

Könnte also der Strom in der Schweiz knapp werden – Stichwort Versorgungssicherheit?

Sobald die Kernkraftwerke dereinst abgestellt werden, fehlt uns – unter sonst gleichen Bedingungen - enorm viel Strom. Die Schweiz kann zwar auf Importe setzen. Es wird aber ein Problem, wenn alle anderen Länder die gleiche Strategie haben. Stand heute geht es nicht voran in der Schweiz.

Was bedeutet das für die Axpo? Wie wird es langfristig weitergehen?

Der Ausstieg aus der Kernkraft in der Schweiz ist beschlossen. Von daher muss man darüber nicht gross diskutieren. Die Wasserkraft rechnet sich finanziell nicht, und es gibt wenige Gelegenheiten, neue Kraftwerke zu bauen. Dort erwarten wir ebenfalls kein Wachstum. Wenn es um den Kapazitätsausbau geht, dann investieren wir vor allem in die zwei Bereiche: Wind und Solar im Ausland.

Man könnte auch, wie das Beispiel Mühleberg zeigt, früher als gesetzlich erlaubt aus der Atomkraft aussteigen. Hat die Axpo die Energiewende verpasst?

Ich persönlich würden sagen, oberste Priorität ist es, den CO2-Ausstoss zu reduzieren. Und so lange es möglich ist, Kernkraftwerke sicher zu betreiben, und damit verhindert wird, dass beispielsweise Gaskraftwerke gebaut werden – finde ich das eine sinnvolle Sache. Ein Neubau ist sowieso kein Thema. Das rechnet sich auch gar nicht. Daher braucht es auch keinen ideologischen Streit über diese Frage.

Es gibt immer wieder Kritik, die Axpo sei im Ausland zu stark engagiert - als Schweizer Konzern in der Hand von Schweizer Kantonen.

Wie gesagt ist das Auslandsgeschäft für uns eine wichtige Stütze. Wenn man mit Wasserkraft kein Geld verdienen kann, die Kernkraft verschwindet und grosse PV-Anlagen nicht rentieren - was bleibt dann noch in der Schweiz? Das Wachstumspotential im Ausland ist grösser als in der Schweiz. Das hat auch einfach mit der Marktgrösse der Schweiz zu tun, welche nun einmal überschaubar ist. Wenn wir in den Nachbarländern investieren, dann hilft das indirekt auch der Schweiz. Und man sollte auch nicht vergessen, dass die Axpo in den letzten zehn Jahren in der Summe viel mehr in der Schweiz investiert hat als im Ausland.

Eine Teilprivatisierung der Axpo ist im Gespräch. Was halten Sie davon und könnte sogar ein partieller Börsengang in Frage kommen?

Ich weiss nicht, ob eine Teilprivatisierung im Gespräch ist. Ein neuer Aktionärsbindungsvertrag ist in Diskussion, der vorsieht, dass die Kantone ihren Anteil auf bis zu 51 Prozent reduzieren könnten. Das ist aber in ferner Zukunft. Und ob das dann wirklich stattfindet, ist Sache der Eigner.

Wäre das aber gut für die Axpo?

Für die hohen Investitionen, die für die Energiewende nötig sind, hätte es möglicherweise einen Vorteil. Andere Energieversorger gehen an den Kapitalmarkt und beschaffen sich dort das Geld, um die Energiewende voranzutreiben. Wir haben diese Möglichkeit nicht und müssen uns in erster Linie über Schulden finanzieren.

Sie kommen vom Medienkonzern TX Group und waren Chef der Marktplatzsparte. Davor waren sie viele Jahre in der Telekombranche tätig. Sehen Sie bei der Axpo Potential in den Bereichen IT, Technologie und Digitalisierung?

Ja, auf jeden Fall. Ich habe mir sagen lassen, dass die gesamte Energiebranche in puncto Digitalisierung nicht so weit ist wie andere Branchen. Die Axpo ist ganz ok unterwegs, es gibt sicher auch bei uns noch ein grosses Potential. Ein Beispiel: In einem Wasserkraftwerk gibt es um die 20'000 Datenpunkte. Die Daten werden aber nicht systematisch erfasst. Und da hat der neue Technologiechef Thomas Gresch, der im Januar bei der Axpo beginnt, ein reiches Betätigungsfeld vor sich.

 

Dieses Interview wurde von der Nachrichtenagentur AWP geführt - Copyright: AWP/Interview: Young-Sim Song 

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