26.02.2024 | Einigung zur Reform des EU-Strommarktdesigns
In der Nacht vom 13. Dezember 2023 erzielten das Europäische Parlament und der Rat eine Einigung zur Reform des EU-Strommarktdesigns: Zukünftig sollen zweiseitige Differenzverträge (Contracts for Difference / CfDs) und langfristigen Stromabnahmeverträgen (Power Purchase Agreements / PPAs) zum Einsatz kommen, um Verbraucher vor hohen und volatilen Strompreisen zu schützen. Ergänzend soll die Liquidität an den Stromgrosshandelsmärkten verbessert werden. Im Hinblick auf Haushaltskunden und KMUs wurden ausserdem der Verbraucherschutz gestärkt. Axpo begrüsst die Tatsache, dass die Europäische Kommission eine Weiterentwicklung des EU-Strommarktdesigns anstelle eines Systemwechsels vorgenommen hat, und unterstützt grundsätzlich den Ausbau der Terminmärkte in Kombination mit PPAs für erneuerbare Energien und CfDs, sofern diese richtig kalibriert werden.
Als Reaktion auf hohe und volatile Strompreise seit Sommer 2021, aber auch auf eine Vielzahl von Eingriffen auf Ebene der EU-Mitgliedsstaaten, legte die Europäische Kommission am 14. März 2023 Pläne für eine Reform des Strommarktdesign vor. Diese wurde ergänzt durch gleichentags veröffentlichte Vorschläge der Europäischen Kommission für eine Reform der REMIT und der ACER-Verordnung. Anfängliche Befürchtungen der Europäischen Stromwirtschaft, wonach das bestehenden Strommarktdesign einer radikalen Reform unterzogen werden könnte, einschliesslich der Abschaffung des Merit-Order-Prinzips, haben sich nicht bewahrheitet. Der politische Kompromiss muss nun noch formal von Europäischem Parlament und Rat verabschiedet werden und könnte im Juni 2024 in Kraft treten. Die Reform enthält umfangreiche Arbeitsaufträge zu Händen von Europäischer Kommission und ACER, die es in den kommenden Jahren abzuarbeiten gilt.
Kernelement der Reform sind die zweiseitigen Differenzverträge (CfDs). Gemäss der Reform dürfen EU-Mitgliedsstaaten zukünftig die Stromproduktion nur noch mit Hilfe von CfDs fördern. Dabei tritt der Staat zwischen den Produzenten und den Verbraucher und sichert einen festen Strompreis ab. Lieget der Marktpreis über dem vereinbarten Strompreis, fliessen die über dem vereinbarten Preis liegenden Beträge an den Staat, der diese an die Endverbraucher zurückverteilen muss. Der Staat kann diese Gelder allerdings auch in Stromnetze investieren oder zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Industrie einsetzen. Bei fallenden Marktpreisen deckt der Staat den Verlust der Stromproduzenten bis zur Höhe des vereinbarten Preises.
Mittels CfDs können Neuanlagen in den Bereichen Wind-, Solar- und Wasserkraft (ohne Speicher), Geothermie und Kernkraft gefördert werden. Ursprünglich war geplant, dass staatliche Förderung nur noch mittels CfDs erfolgen dürfe; im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wurden auch “äquivalente Fördermechanismen” zugelassen (z.B. gleitende Einspeiseprämie mit Deckel): Die Feststellung der Äquivalenz erfolgt durch die Europäische Kommission.
Insbesondere in der Schlussphase der Verhandlungen war die Debatte innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten von der Frage beherrscht, ob auch das Repowering von Bestandsanlagen oder Laufzeitverlängerung mittels CfDs gefördert werden können. Auslöser war der Wunsch Frankreichs, die anstehenden Investitionen in den bestehenden Kernkraftwerkspark mittels CfDs zu stemmen. Der erzielte Kompromiss erlaubt dies, sieht aber die Prüfung der Förderung durch die Europäische Kommission vor, die insbesondere intra-EU-Wettbewerbsverzerrungen verhindern soll.
Polen konnte sich in der Schlussphase der Verhandlungen mit dem Anliegen durchsetzen, die Ende 2025 auslaufenden Ausnahmen für die Förderung von Kohlekraftwerken mittels Kapazitätsmechanismen nochmals um drei Jahre bis Ende 2028 zu verlängern. Hintergrund: Im Rahmen des Clean Energy Package aus 2019 war eine Obergrenze von 550gCO2/kWh eingeführt worden: Fossile Kraftwerke mit darüber liegenden Emissionen, sind von Zahlungen auf Grund von Kapazitätsmechanismen grundsätzlich ausgeschlossen.
Neben der Einführung von CFDs sieht die Reform auch eine Förderung von langfristigen Abnahmeverträgen für erneuerbaren Strom vor; diese sollen auch für kleinere Marktteilnehmer zugänglich gemacht werden, indem diese Zugang zu staatlichen Garantien erhalten. Ausserdem sieht die Reform die Einführung von standardisierten PPAs-Verträgen vor, womit ebenfalls deren Marktgängigkeit erhöht werden soll - die Standardisierung bleibt freiwillig.
Die Reform sieht auch Massnahmen zur Verbesserung des Stromhandels vor; insbesondere soll das Angebot an langfristigen, grenzüberschreitenden Kapazitätsbuchungen erhöht werden. Zukünftig soll es insbesondere ein verbessertes Angebot von Kapazitätsbuchungen mit bis zu drei Jahren Laufzeit einschliesslich zugehörigem Sekundärmarkt geben.
Zu den Verbesserungsvorschlägen gehört auch die mögliche Einführung von sogenannten «regional virtual Hubs»: Nach nordischem Vorbild sollen hierzu Gebotszonen-überschreitende synthetische Preise eingeführt werden. Die regional virtual Hubs – ursprünglich zwingend vorgesehen – sind aufgrund der Kritik der Stromwirtschaft nun nur noch als Option nach vorhergehender Folgenabschätzung gedacht.
Der kurzfristige Stromhandels soll für die erneuerbaren Energien geöffnet werden, indem die Gate-Closure-Time (GCT) ab dem Jahr 2026 auf 30 Minuten verkürzt wird. Im Bereich der Kurzfristprodukte ist – beschränkt auf den Krisenfall – die Einführung sogenannter Peak-Shaving-Produkte durch den Übertragungsnetzbetreiber vorgesehen. Diese sollen Marktteilnehmer vergüten, die ihren Verbrauch in Zeiten hoher Preise kurzfristig zurückfahren.
Als Reaktion auf die Verwerfungen im Zusammenhang mit kurzfristig stark ansteigenden Endkundenpriesen sollen Verbraucher nun ein Recht auf Stromlieferverträge mit einjähriger Festpreisgarantie erhalten. Damit wird ihr bereits bestehender Anspruch auf dynamische Lieferverträge ergänzt. Die Pflicht, einjährige Festverträge anzubieten gilt nur für Anbieter mit mehr als 200’000 Kunden.
Aus Sicht der Stromwirtschaft besonders kritisch, ist das Verbot von Lieferunterbrüchen, selbst bei Nichtzahlung. Eine ursprüngliche Klausel, die in solchen Fällen einen Ersatzanspruch der Unternehmen gegen die öffentliche Hand vorsah, wurde gestrichen.
Als Kompromiss zwischen dem Langfristziel der Europäischen Kommission, wonach die Preisbildung ausschliesslich marktbasiert zu erfolgen hat, und den vielzähligen Eingriffen der EU-Mitgliedsstaaten in die Preissetzung während der Energiekrise (und davor), führt die Reform das Konzept der Strompreiskrise ein. Auf Vorschlag der Europäischen Kommission wird diese von den im Rat versammelten EU-Mitgliedsstaaten festgestellt. Dabei müssen folgenden Bedingungen erfüllt sein: Der (1) Stromgrosshandelspreis ist überdurchschnittlich hoch, (2) übersteigt 180€/MWh und (3) die Endkundenpreise steigen für einen bestimmten Zeitraum um über 70% an. Während der Strompreisekrise darf der Strompreis für schutzbedürftige und benachteiligte Kunden unter den Marktpreis reguliert werden; allerdings betrifft dies höchstens 70% des Stromverbrauchs von KMUs und höchstens 80% des Stromverbrauchs von Haushalten.
Als weiteres Element des Verbraucherschutzes führt die Reform Stresstests ein, durch die die Stromversorgungsunternehmen gegenüber den nationalen Energieregulierungsbehörden nachweisen, dass sie über geeignete Absicherungsstrategien verfügen, um (1) ihren Lieferverpflichtungen nachzukommen und (2) das Risiko von Lieferausfällen so weit als möglich zu begrenzen.