Die landwirtschaftliche Produktion von Lebensmitteln braucht Fläche, viel Fläche. Grosse Photovoltaikanlagen beanspruchen ebenfalls viel Platz. Ihr Zubau ist jedoch dringend nötig, soll das Klimaziel erreicht, die Abhängigkeit von fossilen Ressourcen reduziert und die Schweiz auch künftig sicher mit Strom versorgt werden. Agri-Photovoltaik oder kurz Agri-PV kann die heute zunehmende Konkurrenz um Fläche zwischen Landwirtschaft und Energieversorgung aufheben und in einen Gewinn für beide Seite wandeln.
Das noch junge Konzept ist so einfach wie elegant: Während unten Getreide, Kartoffeln oder Obst und Gemüse geerntet werden, wird darüber Strom gewonnen. Im besten Fall geben Acker und Weiden dabei mehr her als zuvor, weil die Photovoltaikmodule sie vor Hagel, Frost und Dürren schützen. Als gut geeignet gelten etwa Kartoffeln, Blattgemüse, Feldfutter (Gras-/Klee-Gemisch), verschiedene Arten von Kern- und Steinobst, Beeren, Beerenobst und andere Sonderkulturen (Bärlauch, Spargel und Hopfen).
Laut der Food and Agriculture Organization of the United Nations, der FAO, gehören Agri-PV-Anlagen zu den integrated food-energy-systems (IFES) und lassen sich grob in offene und geschlossene Systeme einteilen. Letzteres sind primär mit PV-Modulen überdachte Gewächshäuser. Axpo hat mit ihrer Tochtergesellschaft Urbasolar in Frankreich breite Erfahrungen mit solchen Solaranlagen.
Die offenen Systeme lassen sich in zwei Typen unterscheiden: in Anlagen mit sogenannt hoch aufgeständerten und solchen mit bodennah installierten PV-Modulen. Im ersten Fall sind die Module mehrere Meter über dem Boden gebaut, sodass die Fläche direkt darunter bewirtschaftet werden kann und auch grosse Landwirtschaftsmaschinen gut unter der Anlage durch passen. Durch die Art der Aufständerung kann ein vorteilhaftes Mikroklima geschaffen werden, das durch einen Kamineffekt tagsüber die Pflanzen kühlt und nachts höhere Temperaturen als in der Umgebung ermöglicht. Im zweiten Fall, also bei den bodennah installierten Modulen, werden die Kulturen typischerweise zwischen den aufgereihten PV-Modulen bewirtschaftet.
Eine Agri-PV-Anlage kann mit einer starren Unterkonstruktion realisiert werden oder mit einer 1- oder 2-achsig beweglichen Konstruktion, sogenannten Solartrackern. Sie folgen im Tagesverlauf dem Sonnenstand und erzielen so eine höhere Stromausbeute.
Photovoltaik ist ein wichtiger Pfeiler, um den künftigen Bedarf der Schweiz an Strom decken zu können. Auch Axpo baut die Solarenergie massiv aus. In der Schweiz fokussiert Axpo auf grosse PV-Anlagen im Mittelland oder in den Bergen (Winterstrom). Dazu sollen wann immer möglich Flächen bestehender Infrastrukturen genutzt werden. Ein Beispiel ist die Pionieranlage Alpinsolar, die an der Muttsee-Staumauer in den Glarner Alpen gebaut worden ist.
In der sogenannten Agri-Photovoltaik, die für die Installation der Anlagen nicht bestehende Bauten nutzt, sondern diese mit Agrarflachen kombiniert, steht die Schweiz erst am Anfang, während im europäischen Ausland vor allem Frankreich die Nase vorne hat. Mit der französischen Tochter Urbasolar verfügt Axpo indes bereits heute über grosse Erfahrungen mit Agri-PV-Anlagen. Beispielsweise hat Urbasolar mehr als 20 Anlagen als Überdachung von Gewächshäusern gebaut, zahlreiche weitere Projekte sind in der Pipeline.
NalpSolar Graubünden
Axpo plant den Bau der Freiflächenanlage NalpSolar. Sie soll oberhalb des Stausees Lai da Nalps im Kanton Graubünden auf rund 2000 Metern über Meer gebaut werden und über eine installierte Leistung von 10 Megwatt verfügen. Dafür sollen 30'000 Solarmodule über alpinem Weideland montiert werden, was rund 12 Fussballfeldern entspricht. Während im Sommer hier oben Kühe im Schatten der Module grasen, soll die Anlage über der Weide jährlich 13 Gigawattstunden Strom liefern. Das reicht für rund 3000 Haushalte.
Mont-Prés-Chambord, Frankreich
In der kleinen, französischen Gemeinde Mont-Prés-Chambord, südöstlich von Le Mans, hat die Axpo Tochter Urbasolar eine Photovoltaik-Anlage in Zusammenarbeit mit der Gemeinde gebaut, um ungenutztes Agrarland wieder landwirtschaftlich nutzen zu können. Die Anlage wurde so konzipiert, dass die Schafherde eines lokalen Landwirts Unterstand findet. Gleichzeitig ermöglicht die Anordnung der Solarpanels, dass das Gelände als Weidefläche dient und Futter produziert werden kann. Hierfür wurden beispielsweise die Reihenabstände zwischen den Panels so berechnet, dass die Futterproduktion mechanisiert und optimiert werden kann. Das Solarkraftwerk weist 4,4 MW installierte Leistung aus und erzeugt jährlich 5’350 MWh Strom. Damit werden rund 2’500 Personen mit klimafreundlichem Strom versorgt.
Berre l’Etang, Frankreich
In Frankreich hat die Axpo Tochtergesellschaft Urbasolar bereits mehrere landwirtschaftliche Gewächshäuser mit Solarmodulen überdacht. Ein Beispiel ist das Projekt in Berre l’Etang, wo die Landwirtin Stephanie Facon-Retaux und ihr Ehemann auf ihrem Betrieb Erdbeeren und Himbeeren anbauen. Die Beeren sind wetterempfindlich. Sturm, Hagel und Frost können zu deutlichen Ernteeinbussen führen. Mit Solarmodulen überdachte Gewächshäuser bieten dagegen Schutz und somit mehr Ertragssicherheit. Die Solarmodule auf dem Betrieb des Ehepaars erstrecken sich über eine Fläche von 29’162 m2. Die installierte Leistung beträgt 2,8 MWp. Insgesamt führt dieses Solargewächshaus zu einer besseren Diversifizierung der Vertriebskanäle und stellt ein vielfältiges, lokales, qualitativ hochwertiges und umweltfreundliches Angebot sicher.
Gemäss Bundesgesetz über die Raumplanung sind Solaranlagen in der Landwirtschaftszone grundsätzlich nur auf Dächern erlaubt. Freiflächenanlagen können ausserhalb der Bauzone, und damit auch innerhalb der Landwirtschaftszone, nur dann überhaupt eine Ausnahmebewilligung erhalten, wenn die Standortgebundenheit dies erfordert. Weil Solaranlangen jeweils auch anderswo aufgestellt werden können, konnten freistehende Solaranlagen bis Mitte 2022 nicht als standortgebunden begründet werden und waren deshalb rechtlich nicht zulässig.
Seit dem 1. Juli 2022 sind in der Raumplanungsverordnung nun Kriterien für die Standortgebundenheit von Agri-PV-Anlagen aufgeführt. Gemäss Art. 32c können Solaranlagen mit Anschluss ans Stromnetz ausserhalb der Bauzonen insbesondere dann als standortgebunden gelten, wenn sie «in wenig empfindlichen Gebieten Vorteile für die landwirtschaftliche Produktion haben oder entsprechenden Versuchs- und Forschungszwecken dienen». Der Zusatz «Vorteile für die landwirtschaftliche Produktion» schränkt die Möglichkeiten der Agri-PV auf Kulturpflanzen ein, die weniger Licht brauchen und von einer Beschattung profitieren. Das Parlament plant im Rahmen des sog. Mantelerlasses die Kriterien für Standortgebundenheit von Agri-Photovoltaikanlagen auch auf Gesetzesstufe zu verankern. Die Diskussionen laufen und es wird sich zeigen, welche Änderungen schlussendlich resultieren (voraussichtliches Inkrafttreten ab 2025).
Eine zusätzliche Hürde für Agri-Photovoltaik ist der Wegfall von Direktzahlungen für landwirtschaftliche Flächen, wenn sie mit Solaranlagen überbaut werden. Hintergrund ist, dass die Verwendung von Agri-PV derzeit nicht mit den Voraussetzungen einer landwirtschaftlichen Nutzfläche vereinbar ist. Hier gälte es, eine Anpassung zu überprüfen, um den Ausbau voranzubringen.
Agri-Photovoltaik oder kurz Agri-PV kombiniert Landwirtschaft mit der Erzeugung von Solarstrom und entschärft so die zunehmende Konkurrenz um Fläche zwischen Land- und Energiewirtschaft. Dank ihres grossen Potenzials kann sie massgebend zur Sicherung der Stromversorgung beitragen. Konkret werden Solaranlagen direkt auf landwirtschaftlich genutzten Flächen gebaut und zwar so, dass sie die landwirtschaftlichen Erträge möglichst wenig beeinträchtigen. Je nach Anbau und Kulturpflanze lassen sich die Erträge sogar erhöhen, weil die Pflanzen dank der Teilüberdachung vor Hitze, Starkregen, Hagel und Frost besser geschützt sind. Agri-PV ermöglicht quasi eine doppelte Ernte: Solarstrom und Nahrungsmittel.
Ob Agrophotovoltaik, Agrarphotovoltaik, Agriphotovoltaik mit den jeweiligen Abkürzungen – es kursieren unterschiedliche Begriffe. Sie meinen aber alle dasselbe: die Kombination von Solarenergie und Landwirtschaft. Axpo verwendet den Term Agri-Photovoltaik oder kurz Agri-PV.
Die Idee zur Agri-PV wurde in Deutschland geboren. Vater ist der Gründer des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE, Adolf Götzberger, der das Konzept 1981 im Beitrag «Kartoffeln unter dem Kollektor» der interessierten Öffentlichkeit vorstellte.
Die Resonanz blieb jedoch erst einmal verhalten. Es dauert rund drei Jahrzehnte bis das Konzept angesichts der Klimakrise und dem steigenden Energiebedarf auf Interesse stiess – zwar nicht für Sonnenkollektoren, sondern für PV-Module. In den 2000er-Jahren wurden in Japan und dann in Deutschland und Frankreich die ersten Agri-PV-Pilotanlagen errichtet und erforscht. Auch in der Schweiz liefert beispielsweise die Pilotanlage des bundeseigenen Forschungsinstituts Agroscope in Conthey (VS) Daten zu Erdbeer- und Himbeerkulturen. In der Deutschschweiz wies die ZHAW in der eigenen Versuchsanlage in Wädenswil nach, dass Nüsslisalat unter Solarmodulen besser gedeiht.
Gemäss dem Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE sind weltweit Anlagen mit insgesamt 14 Gigawatt Leistung installiert. Zum Vergleich: 2012 lag die installierte Leistung gerademal bei rund 5 Megawatt.
Seit 2013 fördert Japan als erstes Land Agri-PV staatlich. China, Frankreich und die USA folgten, aber auch Italien gehört in Sachen Agri-PV zu den Vorreitern. Das bisher grösste Agri-PV-Projekt wurde in China am Rand der Wüste Gobi realisiert und wird derzeit auf eine Leistung von 1 GW ausgebaut. In der Schweiz stehen wir hingegen erst am Anfang. Axpo will massgebend zum Ausbau der hiesigen Agri-PV beitragen. Mit der französischen Tochter Urbasolar verfügt sie bereits über jahrelange Erfahrung im Bau von Solaranlagen, einschliesslich dem Bau von Agri-PV-Anlagen.
Die Schweiz steht vor einer grossen Herausforderung: Bis 2050 fehlt uns rund 50 Terawattstunden Strom. Einerseits gehen die Kernkraftwerke nacheinander vom Netz, es flossen in den letzten Jahren zwar Investitionen in die bestehende Wasserkraft, aber der Ausbau ist blockiert und es besteht ein Rückgang aufgrund von Restwasserbestimmungen. Andererseits steigt der Strombedarf aufgrund der zunehmenden Elektromobilität, dem Einsatz von Wärmepumpen und anderen Technologien.
Deshalb will der Bund die Photovoltaik massiv ausbauen. Bis 2050 soll sie gemäss den Energieperspektiven 2050+ rund 34 Terawattstunden (TWh) liefern. Das ist etwa zwölf Mal mehr als heute und wird gut 40 Prozent des Strombedarfs entsprechen. Die dafür nötigen Solaranlagen würden zusammengenommen in etwa den Kanton Appenzell Innerrhoden abdecken. Das macht klar: Um den Bau von grossflächigen PV-Anlagen kommen wir nicht herum.
Sollen sie auf der grünen Wiese gebaut werden, dürften sie in der kleinräumigen Schweiz allerdings auf Widerstand stossen. Bei Solaranlagen auf Landwirtschaftsflächen kann hingegen eher mit einer höheren Akzeptanz gerechnet werden.
Zwar bieten Dächer und Fassaden von Gebäuden viel Platz. Um dieses Potenzial aber vollständig auszuschöpfen, müssten in der Schweiz auf rund 95 Prozent der Gebäude auf mindestens einer Dachfläche eine PV-Anlage installiert werden. Das ist nicht realistisch und ginge auch zu langsam.
Laut SolarPowerEurope würde die Nutzung von nur 1 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche mit zusätzlichen Agri-PV-Anlagen eine Kapazität von 700 Gigawatt ergeben.
Und in der Schweiz? Auf dem Acker liegt viel Potenzial brach, wie eine detaillierte Machbarkeitsstudie der ZHAW von 2022 zeigt.
Die Ergebnisse zusammengefasst: In der Schweiz fällt etwas mehr als 1 Million Hektar auf landwirtschaftliche Nutzfläche (LN), also rund ein Viertel der Landesfläche. Getreide, Kartoffeln, Wein oder Erdbeeri werden hier geerntet und Weideland bewirtschaftet. Niemand will diese Fläche mit Solarpanels zupflastern. Das wäre auch nicht sinnvoll.
Gemäss Studie müssten Agri-PV-Anlagen vielmehr auf Landwirtschaftsflächen in Siedlungsnähe fokussieren, die zudem über genug solare Einstrahlung haben. Von diesen sind Gebiete wie Biosphärenreservate oder Schutzgebiete wegzurechnen. Und von diesem wiederum kommen nur jene Flächen in Frage, die nahe genug an vorhandenen Einspeisungspunkten ins Stromnetz sind. Das trifft vor allem auf Äcker zu.
Unter Berücksichtigung weiterer Ausschlusskriterien kommt die Studie unter dem Strich auf 256'982 Hektar, die sich zur Nutzung für die Agri-PV eignen. Knapp zwei Drittel davon sind offene Ackerflächen. Das Potenzial zur Stromerzeugung auf den geeigneten Flächen werden dabei auf 132 Terawattstunden (TWH) pro Jahr beziffert, was mehr als das Doppelte unseres heutigen Strombedarfs ist. Würde der Strombedarf in der Schweiz bis 2050 von heute 60 auf 80 Terawattstunden pro Jahr steigen und würden etwa 10 Prozent von diesem zukünftigen Bedarf aus der Agri-PV gedeckt werden, wären lediglich 1,1 Prozent der landwirtschaftlichen Acker-Nutzfläche dafür nötig, so der Bericht weiter.