17.03.2023 | Mantelerlass: Nach dem Nationalrat zeigt sich ein durchzogenes Bild
Mit dem Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien werden die Weichen für den zukünftigen Schweizer Strommarkt und den Ausbau der erneuerbaren Energien gestellt. Nach den Entscheiden des Ständerats und des Nationalrates zeigt sich ein durchzogenes Bild. Es sind einerseits positive Signale zu verzeichnen, andererseits gibt es auch noch klares Verbesserungspotential. Eine Einschätzung.
Nachdem der Ständerat im Herbst 2022 zahlreiche Änderungen zur Version des Bundesrates verabschiedet hatte, befasste sich vom 13. bis 15. März 2023 der Nationalrat mit dem sog. Mantelerlass. Die vom Nationalrat getroffenen Entscheide werden nachfolgend zusammengefasst und eingeordnet.
Der Nationalrat will einen schnellen Zubau von erneuerbaren Energien im Inland. Wie schon der Ständerat hat er die Ausbau-Ziele für erneuerbare Energien, ohne Wasserkraft, für 2035 auf 35 TWh gesetzt, was etwas mehr als der Hälfte des aktuellen Stromverbrauchs der Schweiz resp. einer Verdoppelung der Ziele des Bundesrates entspricht.
Erreicht werden soll dieser Zubau erstens durch eine Stärkung des nationalen Interesses am Ausbau erneuerbarer Energien, welches neu gegenläufigen kantonalen, regionalen und lokalen Interessen vorgehen soll. Für Solaranlagen von nationalem Interesse sollen die Kantone in ihren Richtplänen Gebiete ausweisen. Im Gegensatz zum Ständerat will der Nationalrat am Verbot von Anlagen in Biotopen von nationaler Bedeutung und Wasser- und Zugvogelreservaten grundsätzlich festhalten, dabei aber Ausnahmen für Gletschervorfelder und alpine Schwemmebenen vorsehen. Zuletzt sollen Solar-, Windkraft- und Biomasseanlagen auch ausserhalb der Bauzone unter gewissen Voraussetzungen eine Ausnahmebewilligung erhalten können.
Ein zweites, wichtiges Element für den Zubau sind die Förderinstrumente, welche bereits mit der Pa. Iv. Girod verlängert und angepasst wurden. Wie schon der Ständerat hat der Nationalrat die bestehenden Instrumente durch die sog. gleitende Marktprämie ergänzt. Zusätzlich soll eine schweizweit einheitliche Minimal-Rückliefervergütung für Kleinproduzenten von erneuerbarer Energie eingeführt werden. Sie stellt eine zusätzliche Förderung dar, welche durch Verbraucher in der Grundversorgung getragen wird. Die Finanzierung der übrigen Förderinstrumente soll durch die Möglichkeit einer Verschuldung des Netzzuschlagsfonds gestärkt werden, wobei der Nationalrat die Modalitäten im Vergleich zum Ständerat etwas angepasst hat.
Als Ergänzung zum Ständerat möchte der Nationalrat drittens auf Verpflichtungen setzen. So sollen alle Neubauten und erheblichen Umbauten bestehender Gebäude mit Solaranlagen ausgerüstet werden. Eine entsprechende Pflicht soll ab 2030 auch für grössere Parkplätze gelten.
Schliesslich hat der Nationalrat einem kontroversen Antrag zugestimmt. Demnach sollen die nach geltendem Recht strengeren Restwasserbestimmungen bei Neukonzessionierungen bis 2035 sistiert werden.
Analog zum Ständerat will auch der Nationalrat einen Richtwert für die maximale Importabhängigkeit und den Zubau von 6 TWh Winterstrom. Allerdings hat er die zur Zielerreichung notwenigen Instrumente geschwächt. Erstens sollen im Hinblick auf Winterstrom nur die Projekte des Runden Tisches Wasserkraft von zusätzlichen Erleichterungen der Bewilligungsverfahren profitieren, nicht aber Solar- oder Windkraftanlagen. Die vom Ständerat vorgesehene spezifische Förderung für die priorisierten Anlagen wurde zudem entfernt. Zweitens lehnt der Nationalrat Anreize für Winterstrom als Teil der gleitenden Marktprämie ab. Gemäss Ständerat hätten diese Betreiber einen Teil der Zusatzerträge im Winter behalten können.
Im Hinblick auf inländische Stromengpässe wird die Energiereserve (Ausweitung der Wasserkraftreserve) gesetzlich verankert. Der Nationalrat setzt jedoch anstelle einer marktnahen Lösung auf eine unverhältnismässige, generelle Verpflichtung der Betreiber, einen Teil ihrer Speicherseen gegen eine administrativ festgelegte Vergütung als Reserve vorzuhalten.
Wie schon der Ständerat lehnt auch der Nationalrat die vollständige Strommarktöffnung ab. Folglich werden Klein-Verbraucher auch zukünftig ihren Stromversoger nicht wählen können. Eine Ausnahme stellt die geplante Einführung von sog. lokalen Energiegemeinschaften dar, in welchen Verbraucher den von anderen Mitgliedern produzierten Strom beziehen können und dabei von einem reduzierten Netztarif profitieren sollen. Gleichzeitig will der Nationalrat Versorger verpflichten, den Strom für die Belieferung ihrer Endverbraucher in der Grundversorgung vorrangig durch ihre eigene erneuerbare Produktion zu Gestehungskosten zu decken oder zu einem Mindestanteil langfristig zu beschaffen. Dabei müssen sie ein Standardprodukt mit ausschliesslich erneuerbaren Energien anbieten. Sie werden zudem verpflichtet, den Stromverbrauch ihrer Kunden durch Effizienzmassnahmen anhand eines vorgegebenen Absenkungspfades zu reduzieren. Für erreichte Reduktionsziele erhalten sie handelbare Nachweise; bei Nichterreichen drohen Sanktionen. Eine Marktöffnung gibt es hingen aus Sicht der Strombranche am falschen Ort, nämlich beim Messwesen, wo durch eine Teilliberalisierung zusätzliche Schnittstellen geschaffen werden.
Anpassungen beschlossen wurden zudem bezüglich der teilweisen Solidarisierung der Kosten von Netzanschlüssen und Netzverstärkungen, der Befreiung von Speichern und gewissen Elektrolyseuren vom Netznutzungsentgelt, sowie bezüglich der Nutzung von Flexibilität.
Nach den Entscheiden des Ständerats und des Nationalrates zeigt sich ein etwas durchzogenes Bild. Zu begrüssen sind insbesondere die positiven Signale für erneuerbare Energien und Verbesserungen bezüglich deren Bewilligungsfähigkeit. Gleichzeitig hätte man sich aber einen stärkeren Fokus auf Winterstrom gewünscht, und es fehlt mit den Entscheiden des Nationalrats eine Anschlusslösung für alpine PV-Anlagen. Ebenfalls wurde die Chance verpasst, mit der vollständigen Marktöffnung die Rahmenbedingungen für Innovationen und marktdienliches Verhalten zu setzen. Zurückgegriffen wird stattdessen auf zusätzliche regulatorische Instrumente (u.a. Beschaffungsvorgaben und Effizienzverpflichtungen für Versorger), welche voraussichtlich einen erheblichen administrativen Aufwand und schlussendlich höhere Kosten für die Schweizer Endverbraucher bedeuten.
Als Nächstes wird sich die Energiekommission des Ständerats wieder der Vorlage annehmen. Im Hinblick auf die kommenden Diskussionen sei dabei bereits auf folgende Aspekte hingewiesen:
Der Ständerat tut gut daran, den Mantelerlass in den Detailberatungen konsequent auf die ambitionierten Ziele für erneuerbare Energien auszurichten. Er wird allerdings auch berücksichtigen müssen, dass Massnahmen, wie die zeitlich befristete Sistierung der geltenden, strengeren Restwasserbestimmungen oder die Solarpflicht bei Neubauten und Gebäudesanierungen, Gründe für das Referendum gegen den Mantelerlass darstellen könnten. Die Ablehnung der Vorlage durch die SVP-Fraktion und die Stimmenthaltung der Fraktion der Grünen in der Gesamtabstimmung sind als entsprechende Signale zu verstehen.